Seit einigen Jahren mischen Fridays for Future, Scientist for Future und andere Bewegungen die deutsche Politik auf und fordern eine schnelle Energiewende. Ähnlich ist es mit Protesten wie im Hambacher Forst, die sich gegen den fortschreitenden Braunkohleabbau stellen. Braunkohle und Steinkohle – mit ihnen wird der Weg zum klimaneutralen Deutschland ein Wunschdenken bleiben. Bis 2038 soll deshalb ein für alle Mal der Kohleausstieg vollzogen sein. Tatsächlich ist der schneller möglich, als gedacht – und als es aktuell noch scheint.
Woran der fristgemäße Kohleausstieg zu scheitern droht und wie KWK und BHKW hier helfen können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Kohleausstieg: Das ist der Plan
2020 hat die Bundesregierung einen Stufenplan zum Kohleausstieg beschlossen. Dieser legt klare Meilensteine vor, wie sich das Land von den klimaschädlichen Energieträgern Braunkohle und Steinkohle lösen will. 2038 soll Deutschland die Kohleverstromung vollständig hinter sich lassen. Um das 1,5° C-Ziel zu erreichen, wäre jedoch ein Ausstieg bis 2030 besser.
Eng verzahnt ist der Stufenplan mit dem Klimaschutzgesetz, nach dem Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll.
So sollte bis 2022 der Anteil der verstromten Braun- und Steinkohle auf jeweils rund 15 Gigawatt zurückgefahren werden.
Bis 2030 sollen Steinkohle-Kraftwerke nur noch insgesamt 8 Gigawatt des Strombedarfs bereitstellen. Bei den Braunkohle-Kraftwerken liegt der Anteil bei 9 Gigawatt. Im Vergleich zu 2027 entspricht das einer Verringerung der installierten Leistung um 60 Prozent. In Nordrhein-Westfalen soll der Braunkohleausstieg bis dahin schon komplett abgeschlossen sein – die Bundesregierung stellt bis zu 40 Milliarden Euro bereit, um in dieser von der Kohle so abhängigen Region den Strukturwandel zu sichern.
2030 – das ist auch das Stichjahr, bis zu dem im Vergleich zu 1990 die Emissionen um 65 Prozent gesenkt werden sollen, um das Ziel eines klimaneutralen Landes bis 2045 zu schaffen.
2026, 2029 und 2032 will die Bundesregierung jeweils prüfen lassen, ob die Kraftwerksstilllegungen ab 2030 vorgezogen werden können bzw. ob ein finaler Kohleausstieg womöglich schon 2035 erreichbar ist.
So weit, so gut. Wären da nicht ein paar unvorhergesehene Probleme, die 2022 und 2023 miteinander kollidierten und den Plan durcheinander warfen.
… und das ist der Status quo
Dass Deutschland neben dem Kohleausstieg den Atomausstieg verfolgt, war seit Jahren bekannt. 2023 wurde demnach das letzte Atomkraftwerk vom Netz genommen. In der Theorie kein Problem, denn 2022 lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch schon bei einem Rekordwert von 46,2 Prozent.
In der Praxis kam diesem Plan der Ukraine-Krieg in die Quere. Die damit verbundenen Erdgas-Lieferstopps aus Russland brachten eine Energiekrise mit sich. Auch wenn Deutschland mittlerweile Erdgas aus anderen Ländern importiert, musste die Energieversorgung abgefangen werden. Damit „Klimaschutz und Energiesicherheit verknüpft werden können, ohne dass die langfristigen Ziele aufgegeben werden“ – so Wirtschaftsminister Robert Habeck – wurden deshalb wieder einige bereits stillgelegte Kohlekraftwerke ans Netz genommen.
Die Folge: Das CO2-Reduktionsziel, mit dem Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen will, wurde 2022 um 5 Millionen Tonnen verfehlt. Ein Drittel des erzeugten Stroms wurde 2022 noch aus Kohle gewonnen. Gleichzeitig bemängelten Verbände wie der BUND noch 2023, dass die Infrastrukturprobleme bzw. der verzögerte Ausbau von Alternativen den Kohleausstieg ausbremsen.
Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die berechtigte Frage: Ist der Kohleausstieg 2030 realistisch?
Mit diesen Ideen lässt sich der Kohleausstieg meistern
An technischen Ansätzen und Ideen, wie das deutsche Energiesystem den Ausstieg aus der Kohlekraft und den damit zu ersetzenden Energiebedarf kompensieren kann, mangelt es nicht.
An erster Stelle wäre hier der systemdienliche und marktkonforme Ausbau der erneuerbaren Energien zu nennen. Bereits heute ist es das Ziel der Politik, ihren Anteil bis 2030 auf 65 Prozent zu heben. Weiterhin geplant sind Side Management, die Weiterentwicklung der Speichertechnologie, der Import von Strom sowie der Umbau von Kohle auf Gas.
Eine weitere wichtige Alternative, die den nach dem Kohleausstieg anfallenden zusätzlichen Strombedarf decken kann, sind wasserstofffähige Gaskraftwerke, welche teilweise auch heute noch mit fossilen Energieträgern wie Erdgas, in Zukunft zunehmend mit erneuerbaren Gasen und Wasserstoff betrieben werden. In Kombination mit Fernwärmenetzen, Speichern, Wärmepumpen, Solarthermieanlagen, Geothermieanlagen und Power-to-Heat kann deren Effizienz enorm steigen und den Einsatz an fossilen Brennstoffen verringern.
Welche Alternativen gibt es?
Neben Photovoltaik, Windenergie und Wasserkraft erweist sich KWK auf Gasbasis schon heute als Alternativen zur Kohlekraft. Sie produzieren höchst effizienten Strom und können in Zukunft durch den stetig vergrößerten Einsatz erneuerbarer Gase klimaschonender gemacht werden. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit die KWK tatsächlich die Leistungen von Kohlekraft auffangen und die Lücke, die durch den Kohleausstieg entsteht, schließen können oder aber überhaupt müssen.
Fest steht, dass die Leistungen eines Kohlekraftwerks nicht eins zu eins durch andere Leistungen ersetzt werden müssen. Vielmehr geht es um eine Kompensation. Und diese lässt sich durch mehrere parallele Konzepte erreichen. Zudem befindet sich das Energiesystem in einem Wandel, bei dem auch die Digitalisierung eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. Diese ermöglicht es, dass die Erzeugung und der Verbrauch von Energie durch Side-Management besser abgestimmt werden können.
Ebenso wird das Energiesystem durch die Sektorenkopplung optimiert. Effizienzmaßnahmen auf der Verbraucherseite halten das Wachstum an Energiebedarf in Grenzen – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Die nationale Kraftwerksstrategie, vorgestellt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz am 1. August 2023, verfolgt das klare Ziel, den Kohleausstieg zu beschleunigen und die Dekarbonisierung des Stromsektors voranzutreiben. In Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission wurde ein Plan entwickelt, um den deutschen Kraftwerkspark auf Wasserstoff umzurüsten. Dies umfasst die Ausschreibung von 8,8 Gigawatt neuer Wasserstoffkraftwerke von Anfang an sowie weitere 15 Gigawatt bis 2035, die vorübergehend mit Erdgas betrieben werden können. Besonders erfreulich ist die Berücksichtigung von Biogas und Biomethan in der Strategie, wodurch 6 GW neue Kraftwerke im Biomassebereich entstehen sollen, wovon 3 GW auf Biomethan entfallen. Die Kraftwerksstrategie bietet somit eine klare Perspektive, um den Kohleausstieg effizient und zukunftsorientiert zu gestalten und eröffnet auch für die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) neue Möglichkeiten, ihre Potenziale auszuschöpfen und einen wichtigen Beitrag zur Energiewende zu leisten.
Kann der Kohleausstieg wirklich bis 2038 gelingen?
Neben allen Diskussionen, Plänen und Ideen steht aktuell vor allem eines fest: Solange die gesetzlichen Rahmenbedingungen keine passenden Leitblanken setzen, wird es schwierig sein, all diese Konzepte wirtschaftlich zu gestalten. Ein Grund dafür liegt vor allem auch in den günstigen Preisen des fossilen Brennstoffs Kohle. Die Umstrukturierung des Energiesystems nach dem Kohleausstieg wird Geld kosten.
Um die Akzeptanz dennoch zu steigern, ist eine transparente Kommunikation mit der Öffentlichkeit entscheidend. Denn im direkten Vergleich und bei Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette kosten fossile Energieträger am Ende in Summe mehr. Dass der Kohleausstieg funktionieren kann, macht die Bevölkerung bereits deutlich, indem sie die Energiewende auf regionaler Ebene an vielen Orten schon heute lebt.
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Am 15. April 2023 wurde mit dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland ein neuer Meilenstein auf dem Weg in eine grünere Zukunft erreicht. Die Energiewende schreitet mit großen Schritten voran – denn die Bundesregierung hat sich mit Blick auf die kommenden Jahre anspruchsvolle Ziele gesetzt. Doch es hagelt Kritik: Experten bemängeln den schleppenden Fortschritt der Energiewende, der nicht zuletzt durch unvorhergesehene Entwicklungen der vergangenen Jahre ausgebremst wurde. Was ist zu tun, um auf dem Weg zum klimaneutralen Industrieland wieder Fahrt aufzunehmen? Unser Beitrag „Die neue Rolle der KWK in der Energiewende“ beleuchtet Hintergründe, aktuelle Zahlen und Möglichkeiten.