Ehrgeizige Wunschvorstellung oder realistisches Ziel? Was von beidem die Änderung des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung letztendlich ist, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Klar ist jedoch, dass die verschärften Klimaschutzvorgaben und das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 sämtliche Branchen betrifft. Vom Verkehrssektor über die Industrie bis hin zu Landwirtschaft und Energiebranche – sie alle sind von der Gesetzesanpassung betroffen.
Was eine Klimaneutralität bis 2045 für die einzelnen Sektoren bedeutet, welche aktuellen Herausforderungen dem Erreichen der Klimaziele im Weg stehen und welche Zielvorgaben für den Klimaschutz jetzt gelten, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Dieser Beitrag wurde am 22.03.2023 aktualisiert.
Diese Ziele setzt das neue Klimaschutzgesetz fest
Eine wichtige Frage, die über allen Vorgaben und Vorhaben seitens der Bundesregierung steht, ist die Frage nach der Machbarkeit: Ist es tatsächlich möglich, dass Deutschland innerhalb der nächsten 20 Jahre eine vollständige Einsparung aller Treibhausgasemissionen erreichen kann? Geht es nach den gemeinsame Studien der Denkfabriken Agora Energiewende und Agora Verkehrswende sowie der Stiftung Klimaneutralität, so lautet die Antwort: ja. Doch dafür muss sich in sämtlichen Sektoren einiges ändern. Denn um das Klimaziel der Bundesregierung zu erreichen, sind vereinte Kräfte gefordert.
Die Vorgaben, die der Staat in Bezug auf die neuen Klimaziele macht, sind ambitioniert:
- 65 % weniger Emissionen bis 2030 (im Vergleich zu 1990)
- 88 % weniger Emissionen bis 2040
- keine Treibhausgasemissionen bzw. Treibhausgasneutral bis 2045
Um Klimaneutralität zu erreichen, ist einiges an Disziplin, offenem Denken und Veränderungsbereitschaft gefragt. Strikte Zeitpläne und klare Vorgaben kommen von der Regierung – für die Umsetzung liegt es am Gemeinsinn des Landes. Denn nur, wenn alle am Projekt „Klimaneutralität“ Beteiligten an einem Strang ziehen, lässt sich dieses auch erfolgreich umsetzen.
Was bedeutet eigentlich Klimaneutralität?
Ganz allgemein gesagt, meint Klimaneutralität die Vermeidung von Treibhausgasemissionen in allen Bereichen. Das bedeutet, dass nur so viel Emissionen freigesetzt wie auch abgebaut werden können. Neben einer kompletten energetischen Sanierung sämtlicher Gebäude im Land setzt das unter anderem auch die vollständige Elektrifizierung des Verkehrssektors, den Ausbau erneuerbarer Energiekonzepte sowie den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur voraus.
In diesem Zusammenhang schlägt eine umfangreiche Studie von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität vor, das Ziel der Klimaneutralität in drei Schritten anzugehen:
- Die Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 65 % senken.
- Ein vollständiger Umstieg auf klimaneutrale Technologien, um die Emissionen auf 50 % sinken zu lassen.
- Nicht vermeidbare Restemissionen durch CO₂-Abscheidung und -Lagerung ausgleichen.
Zusammengenommen seien diese drei Schritte der optimale Weg, um bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, so die Studie. Doch damit das funktioniert, müssen einige entscheidende Voraussetzungen erfüllt und Herausforderungen überwunden sein.
Diese Herausforderungen stehen dem Klimaziel aktuell im Weg
Eines der mit Abstand folgenreichsten Ereignisse der Gegenwart ist der Ukrainekrieg, dessen Auswirkungen sich längst über sämtliche Branchen erstreckt haben. Vor allem der Energiesektor hat die Folgen deutlich zu spüren bekommen. Die Ablehnung von Gaslieferungen aus Russland sowie die Forderung nach mehr Energieunabhängigkeit war ein starker Dämpfer für die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen – und damit auch für die Klimaneutralität. Denn die Unabhängigkeit von Energieimporten hat einen Rückgriff auf den Energieträger Kohle verursacht. Das wiederum hat zu steigenden CO₂-Emissionen geführt. Stand heute lässt sich damit sagen: 2022 hat Deutschland sein Klimaziel verfehlt.
Hinzu kamen Diskussionen um eine mögliche Reaktivierung bereits stillgelegter Atommeiler sowie die Option einer Einführung von Fracking zur Gasgewinnung im eigenen Land. Für das neue Klimaziel und das zeitigere Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 war das alles andere als förderlich.
Das bedeuten die Klimaziele für den Verkehrssektor
Der Verkehrssektor ist der mit Abstand größte CO₂-Produzent. Ob PKW, LKW, Schiffe oder Flugzeuge – sie alle stoßen Treibhausgase aus und davon nicht wenig. Seit vielen Jahren arbeiten Forschung und Entwicklung auf Hochtouren daran, Lösungen für eine klimafreundlichere Mobilität zu entwickeln. Doch auch in anderen, nicht weniger wichtigen Sektoren geht es darum, die CO₂-Emissionen zu reduzieren und Klimaneutralität zu erreichen. So zum Beispiel im Güterverkehr.
Allein LKW und Binnenschifffahrt transportieren etliche Millionen Tonnen an Gütern pro Jahr durch ganz Deutschland und die Welt. Sie produzieren zusammen rund 57 Millionen Tonnen CO₂ (Stand 2018) – etwa 35 % des gesamten CO₂-Ausstoßes im deutschen Verkehrssektor. Das ist zwar nur knapp die Hälfte dessen, was der Individualverkehr mittels PKW ausstößt, dennoch lässt sich diese Emissionsmenge weiter reduzieren. Neben Elektromobilität heißt eine weitere vielversprechende Lösung Bio-LNG. Dieses kann als emissionsarmer und klimafreundlicher Kraftstoff dazu beitragen, die Emissionen im Güterverkehr zu minimieren. Änderungen wie diese sind zwingend notwendig, um bis 2045 eine Klimaneutralität zu erreichen.
So steht es um die Klimaneutralität in der Energiewirtschaft
Die Energiewirtschaft gehört zu den Big Playern in Bezug auf die Klimaneutralität. Denn auf die nächsten Jahrzehnte gesehen, liegt hier ein besonders hohes Potenzial, CO₂-Emissionen nachhaltig zu reduzieren und mit großen Schritten auf die Klimaziele zuzugehen. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei erneuerbare Energiekonzepte wie Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft. Bereits heute erzeugt Deutschland einiges an Strom aus erneuerbaren Energiekonzepten. In 2018 lieferten Wind-, Sonnen- und Wasserkraft sowie Biomasse schon knapp über 40 % des benötigten Stroms.
Das zeigt deutlich, dass die Mittel zu mehr Klimaneutralität vorhanden sind. Es gilt nur, diese auch zu nutzen. Der beschlossene Kohleausstieg kann noch weiter beschleunigt werden. Als Übergang wird die benötigte Leistung durch Gas gesichert, welches zukünftig vollständig regenerativ erzeugt werden soll – beispielsweise Wasserstoff und Synthese Gase. Die entstehende Residuallasten durch die volatilen erneuerbaren Energien lassen sich somit mit regelbaren KWK-Anlagen effizient sichern.
2022 hat zudem gezeigt, was bereits möglich ist: Der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamtdeutschen Energieversorgung nimmt zu. So haben Energieerzeuger laut Agora-Auswertung im vergangenen Jahr mit 248 TWh so viel Strom produziert wie nie zuvor. Im Vergleich zu 2021 war das ein Plus von 22 TWh (10 %). In Summe lag die Kapazität der erneuerbaren Energien am Ende des Jahres 2022 bei 148 Gigawatt – was 9,6 Gigawatt mehr sind als im Vorjahr. Für die Klimaneutralität sind das wiederum gute Aussichten.
Klimaneutralität bei Unternehmen, Industrie und Gebäuden
Erneuerbare Energien spielen auch im Zusammenhang der Industrie, Unternehmen und Gebäuden eine wichtige Rolle. So setzen bereits zunehmend mehr Unternehmen bei der Versorgung mit Strom und Wärme auf erneuerbare Energien – zu Recht, müssen doch z.B. in der Stahlindustrie rund die Hälfte aller Hochöfen in Deutschland bis 2030 aus Altersgründen ersetzt werden, so die Studie der Agora Energiewende. Hinzu kommt die CO₂-Steuer. Eine Alternative sind hier beispielsweise Anlagen, deren Betrieb auf Wasserstoff anstatt auf Kokskohle basiert.
Das könnte den CO₂-Ausstoß der Industrie signifikant senken. Zudem wird Wasserstoff auch Erdgas zunehmend als Rohstoff in der Industrie ersetzen. Im Bereich der Gebäudewärme ist es die Technologie der Wärmepumpe, die als Mittel zum Zweck dient. Schließlich verbraucht eine Wärmepumpe bis zu fünfmal weniger Strom als nötig ist, um die gleiche Wärmeenergie aus elektrisch hergestelltem synthetischem Erdgas zu gewinnen.
Klimaneutralität in der Landwirtschaft – das ist der aktuelle Stand
Auch der Sektor der Landwirtschaft ist von den Gesetzesänderungen betroffen. So soll die Landwirtschaft in Deutschland bereits bis 2030 klimaneutral sein. Zwar liegen die Emissionen hier mit nur knapp einem Zehntel im Vergleich zu anderen Sektoren deutlich niedriger, sind auf lange Sicht jedoch auch schwerer zu minimieren. So steht schon jetzt fest, dass es in der Landwirtschaft immer Restemissionen geben wird, sogenannte residuale Emissionen.
Doch auch dafür gibt es Lösungsansätze. So sollen eine gezielte CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre und die Speicherung von Treibhausgasen als negative Emissionen einen Ausgleich schaffen. Potenziale zur Emissionsreduktion bietet dabei die Methode der C-Speicherung bzw. des Carbon Farming. Hierbei soll der gezielt Hummusaufbau in Böden dabei helfen, mehr CO₂ zu binden.
In diesem Zuge kommt auch die Abkehr von Düngemitteln und Stickstoff sowie von Monokulturen ins Spiel, wirken diese doch alle negativ auf die natürliche Hummusbildung. Eine Reduktion in allen drei Bereichen könnte das Erreichen von Klimaneutralität damit ebenso fördern wie die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien und ein verändertes Konsumverhalten der Verbraucher.
Ganz konkret gesagt, haben landwirtschaftliche Betriebe also in verschiedenen Bereichen ihre klar definierten Zielsetzungen:
- Methanemissionen aus Gülle reduzieren, z.B. durch Vergärung in Biogasanlagen
- auf regionale Energie- und Wärmeversorgung setzen
- stärker auf Reststoff-und Abfallverwertung statt auf Energiepflanzen setzen
- Tierbestände reduzieren
- weniger Düngemittel und Stickstoff einsetzen
Dennoch lässt sich Klimaneutralität in der Landwirtschaft auch nicht von heute auf morgen umsetzen. Vielmehr kommt es auf schrittweise Veränderungen (in allen Sektoren) an, um das von der Bundesregierung festgelegte Klimaziel bis 2045 zu erreichen.
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